Waende Südost
Gigo Propaganda (Mostar/Essen)Gigo Propaganda (Mostar/Essen)
Den Hintergrund des Bildes durchziehen schwarze horizontale Linien, die das Bild in unterschiedlich farbige Ebenen unterteilen, die an manchen Stellen den Eindruck von Hügeln, Bergen oder Ebenen machen. Der Eindruck einer Landschaft wird dadurch unterstützt, dass ein Großteil des Bildes im oberen Drittel einen blauchangierten Streifen zeigt, der die Assoziation „Himmel“ zulässt. Zwischen und auf diesen Ebenen erscheinen an unterschiedlichen Stellen elf völlig verschieden aussehende Gestalten. Als lebende Figuren werden die Darstellungen allein dadurch definiert, dass sie einen Körperteil besitzen, der wie ein Auge aussieht. Will man darüber hinaus eine klare Zuordnung der Figuren zu einer Spezies, z.B. Mensch oder Tier, vornehmen, wird es schwierig. Beim Versuch einer Zuordnung besteht die Möglichkeit einer Einteilung der Gestalten in zwei Gruppen. Gruppe 1 besteht aus Figuren, die mindestens einen anatomischen Körperteil aufweisen, der an ein Tier, vielleicht einen Hund, denken lässt. Die Gestalten der Gruppe 2 definieren sich als solche durch Körperelemente, die wie verdrehte Finger mit deutlich sichtbaren Nägeln aussehen, und haben darüber hinaus mehrere Augen. Diese Finger hängen in undefinierbarer Weise zusammen. Die Augen sind ein wichtiges Element des ganzen Bildes. Sie beobachten. Alles. Auch den Beobachter. Sie schauen listig und verschlagen und verstecken sich teilweise hinter den Fingern. Was tun dagegen die Finger? Zeigen sie, laufen sie, besitzen sie eine über die Figur eines Fingers hinausgehende Körperlichkeit? Gigo bezeichnet diese Figuren als Verkörperung „versteckter Ambitionen“ („Hidden Ambitions“).„Erschreckend anmutende, bösartige und unverständliche Wesen belagern das Bild, bzw.das Leben. Selbstbewusst haben diese den Anspruch auf das Dasein im JETZT und HIER.“ Versteckte Ambitionen, die die eigentlichen Absichten und auch den Menschen hinter diesen Absichten verschwinden lassen.
Textelemente sind im Bild an verschiedenen Stellen untergebracht: Anfangs liest man: „FUTURE FAST WILL BE“ und „PAST“. Die Buchstaben sind unterschiedlich farbig und ähneln Kleidungsstücken, die an einer Wäscheleine hängen oder auf einem Transparent stehen. Zusammengesetzt entsteht der Satz „FUTURE FAST WILL BE PAST“ („Zukunft wird schnell Vergangenheit sein“).
Zwei Figuren in der Bildmitte tragen Transparente, die sie mit beiden Händen hoch über ihre Köpfe halten. Auf den Transparenten steht: „STOP STARTINGS STOP“ sowie „YES WE DON´T KNOW.“ Die Aussagen sind jeweils in sich widersprüchlich. Es wird für etwas demonstriert, was keinen Sinn ergibt und somit unklar bleibt. Handelt es sich um Schleichwerbung („ŠLAJCH WERBUNG“)? Gigo nennt diese Akteure im Bild seine „Verarschten, die sich selbst verachtend und nichts ahnend in der Bildmitte aufstellen. Diese demonstrieren gegen sich selbst. Tragen sinnlose, sogar irre Parolen. Zeitgleich sind sie Opfer von Schleichwerbung und demonstrieren gegen sich selbst.“
Zwei weitere Figuren stehen in deutlichem Dialog miteinander. Sie halten sich gegenseitig die Schnauzen zu. Diese Darstellung wird durch folgenden Text umrahmt: „ICH UND DU HALTEN LIEBER MAL DIE SCHNAUZE“. So endet der Dialog mit einer beidseitigen sowohl verbalen als auch körperlichen Aufforderung zur Beendigung desselben. Erneut entstehen beim Betrachter des Bildes Fragen: Halten sie lieber mal die Schnauze, weil sie Angst, vor wem auch immer, haben? Was wäre die Botschaft, wenn sie die Schnauzen nicht halten würden? Gigo selbst über seine Figuren: „Es gibt zwei Hauptfiguren, die Schweinehunde im Bild rechts oben. Allwissend und am Bildrand aufgestellt, helfen die beiden sich gegenseitig, ihr Wissen für sich zu behalten. (…)Die Aussage: ‚Schnauzehalten!‘ nutze ich, um mich dem Alltag bzw. dem einzelnen Betrachter zu nähern. Der ‚billige Witz‘ dient ernsthafter und tiefgehen der Denke und leitet auflockernd in das Bild ein.“
Gigos Bildgrenze ist eine fließende. Seine Hintergrundgestaltung bietet auch den Hintergrund für das an der rechten Seite anschließende Bild des Künstlers Shabu, so dass beide Bilder an dieser Stelle zusammenfließen und ein Ganzes ergeben. Schon an anderer Stelle im Bild hat es eine Verknüpfung zwischen beiden Arbeiten gegeben. Eine Gestalt von Shabu erscheint mitten in Gigos Bild am unteren Bildrand als Umrisszeichnung eines Menschen ohne Arme und Beine, welche scheinbar von einer geöffneten Röhre aufgesogen wird oder aus dieser herauskommt. Das Besondere ist hier die Zusammenarbeit zweier Künstler, die nicht starr an ihren Bildgrenzen festhalten, sondern zeigen, dass im Miteinander und Ineinander auf einem persönlichen und damit auch wieder unterschiedlichen Weg das gleiche Ziel angesteuert werden kann. Anstatt in Konkurrenz zu sein und dem anderen einen Platz streitig zu machen, bereichern sie sich im Miteinander der Verschiedenheiten. Weisen einer auf den anderen hin.
Gigo, 1979 geboren in Mostar, Bosnien und Herzegowina, ist Künstler und freier Kurator aus Essen.
Gigo thematisiert in seiner Malerei sowohl die sich rapide verändernde Bedeutung von Orten als auch die von ihm empfundene Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt. Wichtiger Bestandteil des Schaffens von Gigo ist Kunst im öffentlichen Raum. Er betreibt mit verschiedenen Projekten Kunst- und Kulturförderung im lokalen Bereich und darüber hinaus. Gigo lebt und arbeitet im Ruhrgebiet.
„1991, im Jahr des Zusammenbruchs des kommunistischen Systems in meinem Heimatland, zogen wir nach Essen. Dort begegnete ich anderen gesellschaftlichen und politischen Ideen und einer mir unbekannten multikulturellen Gesellschaft. Ebenso, wie sich in dieser Zeit vieles in Bosnien und Herzegowina veränderte, unterliegt auch das Ruhrgebiet einem Strukturwandel, den ich intensiv verfolge. Diese Veränderungen, besonders der damit einher gehende Identitätsverlust und die daraus resultierende Neuorientierung prägen heute meine Arbeit.“
Weitere Künstler
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>>Gabor Doleviczenyi, Essen
>>Goran Novakovic, Zagreb/Kroatien
>>Gunnar Zimmer, Berlin
>>Honet, Paris/Frankreich
>>Jachya Freeth, Berlin und Amsterdam/Niederlande
>>van Laak, Düsseldorf
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>>Nils Andersch, Essen
>>Nora Schlebusch, Essen
>>Skount, Amsterdam/Niederlande und Almagro/Spanien
>>Stinkfish, Bogotá/Kolumbien
>>Suriya Fornrumdee, Phuket City/Thailand