Waende Südost
Lawrence „Shabu“ Mwangi (Nairobi)Lawrence „Shabu“ Mwangi (Nairobi)
Im ersten Teil von Shabus dreiteiligem Mural zeichnet sich vor nachtgrauem bis schwarzem Himmel eine weiße Eule ab, die aus dem Bild heraus den Betrachter anschaut. Sie sitzt auf einem Baum. Zu ihrer Rechten befinden sich vier bunte Hunde – weiß, blau-türkis, pink –, die von links nach rechts laufen. Alles an ihnen ist lang, die extrem dünnen Beine, die wie Stelzen wirken, ein langer dünner Schwanz und die sehr überstreckten wie in einem Bogen gespannten Körper. Die zwei pinkfarbenen Hunde sehen aus, als ständen sie auf ihrem jeweiligen Spiegelbild, welches in dunklen Grautönen gemalt ist. Normalerweise taucht so ein Effekt auf, wenn sich etwas in einer glatten Wasseroberfläche spiegelt. Hier entstehen diese Spiegeleffekte aber an unterschiedlich hohen Stellen im Bild. Die vier Beine der pinkfarbenen Hunde gehen unvermittelt eine Verbindung ein mit vier grauen Beinen von Hunden, die sich auf dem Rücken befinden. Alle vier Hunde tragen ein Halsband und werden an einer sehr straffen Leine gehalten, die schräg nach oben im Schwarz des Bildes verschwindet. Die Halter der Hundeleinen sind nicht zu sehen. Die Tiere scheinen unter einer hohen Anspannung zu stehen, sich gegen die Leinen aufzubäumen, aber nicht in aggressiver Haltung, sondern in geduckter, angespannter Weise. Der Maler des Bildes, Lawrence Mwangi (Künstlername „Shabu“), hat laut eigener Aussage das erste Mal in unserem Land gesehen, dass Hunde an einer Leine ausgeführt werden. In seinem Land laufen alle Tiere frei herum.
Laut Aussage des künstlerischen Leiters von Waende Südost versteckt sich folgende Bedeutung hinter der Darstellung: „Ähnlich wie in uns bekannten Fabeln gibt Shabu der Eule an sich die Position der Klugheit und Weisheit und somit die Außen-stellung. Sie beobachtet mit all ihrem Scharfsinn die vor ihren Augen stattfindende Situation. In dieser sind Windhunde zusehen. Shabu gibt an, diese Hunde seien die Symbole der Freiheit und stünden für all das, was uns Kinder bedeuten. Leichtigkeit, Unschuld, Offenheit, Neugier etc… Jedoch betonte er mir gegenüber die straffen Leinen. Diese wären der direkte ‚Fingerzeig‘ auf die Eltern, die im Dunkel verborgen bleiben. Anonyme Kontrolle aus dem Hintergrund.“
Folgt man der Wand straßaufwärts, findet sich ein zweites großes Bild von Shabu: Auf einem grauen Hügel liegen menschliche Gestalten. Es handelt sich um Körper, die nicht vollständig zu sein scheinen. Manche von ihnen sehen auch wie menschliche Knochen aus. Viele der Gestalten wirken abgemagert, teilweise scheinen Gliedmaßen zu fehlen. Die Größen der Figuren sind unterschiedlich, manche sind nur teilweise vorhanden. Die Gestalten wirken hilflos, so als könnten sie Arme und Beine – falls vorhanden – nicht bewegen, um vorwärts zu kommen. Der Grundfarbton der Figuren ist hellgrau, aber die Körper besitzen darüber hinaus eine völlig unterschiedliche bunte Farbigkeit. Die Menschen wirken so, als wären sie in großer Not. Nicht nur die wie verrenkt und unvollständig wirkenden Körper, vor allem die ausdrucksstarken Köpfe, die mit geöffneten Mündern und großen Augen den Betrachter des Bildes anschauen, hinterlassen eine eindrückliche Wirkung.
Das Rohr auf der Spitze des Menschenbergs scheint einen Sog auszuüben – oder die Menschen bewegen sich rollend und robbend willentlich auf dieses Rohr zu, denn alle Körper sind in diese Richtung ausgerichtet. Der Berg der liegenden Gestalten befindet sich vor einem grauen Hintergrund. Am rechten Ende des Bildes taucht ein großes Wesen auf, dessen Körper aus einem Halbrund, ähnlich einem Torbogen zu bestehen scheint und dessen – im Verhältnis zum Körper – riesiger Kopf, seitlich geneigt den Betrachter mit großen babyblauen Augen und geöffnetem Mund anschaut. Der Kopf ist kahl und hat einen Hautfarbton. Die Gestalt erinnert an ein Baby. Sie besitzt eine gelbe und darüber liegend eine klare weiße Umrisslinie. Diese Umrisslinien betonen die Besonderheit der Gestalt. Die Farben Weiß, Gelb und Hellblau in Verbindung mit dem Teint des großen Kopfes bestärken das Gefühl, dass es sich bei der Figur um etwas Positives und Unschuldiges handelt. Laut Shabu handelt es sich um eine weise Gestalt, die alles weiß und alles sieht, die Gebärmutter, die Mutter aller.
Dieses Wandbild ist durch das Mural von Gabor zweigeteilt und findet seine Fortsetzung rechts davon. Im nächsten Teilstück taucht eine große liegende graue Gestalt auf, die unförmig und schwach wirkt und den Betrachter mit geöffnetem Mund und großen Augen anschaut. Die Körperlichkeit ist kaum greifbar. Ein Arm ist dünn und überlang, der andere kurz und seltsam verformt. Der Rumpf ist unförmig, einzig die Beine wirken fast gleichlang und stabil und machen den Eindruck von zwei Röhren. Diese liegende Gestalt, welche laut Shabu eine müde Gottheit darstellt, ist nackt bis auf einen bunten Hut oder eine Mütze. Die Gestalt liegt auf einer hellblauen Fläche, hinter und über ihr scheint eine bunte Konstruktion zu existieren und auf Höhe des Unterleibs durchzieht das Rohr, welches im vorherigen Bild auf dem Hügel zu finden war, von unten nach oben den Körper oder verläuft hinter ihm. Ungefähr auf Höhe des oberen Rohrabschlusses befinden sich fünf schwebende oder schwimmende Menschen, die an die Gestalten auf dem Hügel denken lassen. Sie scheinen sich auf das Rohr zu oder von ihm weg zu bewegen. Sie vermitteln eher den Eindruck von Fischen oder amöbenähnlichen Kleinstlebewesen als von Menschen. Shabu zu seinem dreiteiligen Bild: „Das erste und mittlere Mural stellt den Kampf der Menschen dar, einen Platz zu finden, an dem sie frei sein können und tiefe Kontakte mit anderen Menschen eingehen können. Dieser Kampf ist schmerzvoll, aber nicht vergeblich.“
Lawrence Mwangi („Shabu“) ist ein Künstler aus Kenia. Er lebt im Slum von Mukuru in Nairobi. „Shabu“ beschäftigt sich seit 2003 mit Kunst. 2005 begann eine Gruppe von Engagierten mit dem Wajukuu Kunstprojekt, dessen Leitung er übernahm, ebenso wie die Anleitung junger Künstler, die sich auf demselben Weg befanden. Diese Gruppen wurden so groß, dass er mit ihnen einen eigenen „Kids Club“ gründete. Als Künstler verbindet er Kunst mit sozialem Engagement, etwa in der Arbeit mit Randgruppen.
„Ich fand, dass ich mit der Gesellschaft etwas teilen wollte. Das einzige Werkzeug, das ich dazu hatte, war die Kunst, denn diese besitzt die Weisheit der Schweigsamen und bildet ein Fenster, in dem die Dinge sichtbar werden, die sonst ohne jede Beachtung der Gesellschaft vorüberziehen. In meiner Arbeit versuche ich, mich in die Gemeinschaft einzufühlen, das gemeinsam Erlebte zu teilen, auf eine Weise, die mir und allen anderen Bewohnern Hoffnung spendet. Mit meiner Arbeit spreche ich aus der Tiefe meines Herzens von dem, was ich in unserer Umgebung sehe und was ich dabei fühle. Meine Arbeit beinhaltet auf die eine oder andere Art auch politische Ansichten und reflektiert die Art, wie Menschen miteinander in Beziehung treten, trotz der Grenzen zwischen Reichen und Armen, Immigranten und Bürgern, Gesunden und Kranken. Ich versuche mit meiner Arbeit zu zeigen, wie wir zum gemeinschaftlichen Leben zurückfinden können und wie wir trotz unterschiedlicher Herangehensweisen zum gleichen Ziel kommen: zum Sinn des Lebens und zu unseren Ursprüngen.“
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